Azoren.
The days
at Casa Dora

Schon im Vorfeld fand ich es sehr schick sagen zu können, im Urlaub auf die Azoren zu fliegen. Das ist ein bisschen etwas besonderes, etwas elitäres. So muss es ganz früher gewesen sein, eine Kreuzfahrt gebucht zu haben. Mallorca kann ja jeder, aber Azoren. (Zu diesem Zeitpunkt konnte ich ja noch nicht ahnen, dass ungefähr ein Jahr später die Azoren so populär sein werden, dass es eher uncool ist, noch nicht dagewesen zu sein.) 

Montag 
Ich habe ja eh Angst vorm Fliegen und dass in den Medien gerade die ganze Warteschlangen-Thematik hochgekocht wird, das macht es noch schlimmer. Viel zu früh am Flughafen dauert es nur eine halbe Stunde in der Check-in-Schlange bis zu dem mega-braungebrannten Lufthanseaten mit seinem Zahnpasta-Lächeln. Er spricht ein bisschen viel, kennt sich aber mit Azoren voll aus. Netterweise bucht er nach Lissabon Premium-Economy-Plätze. Sicher kann er dann nix mehr dafür, dass ich Flugopfer auf der Strecke Lissabon nach Punta Delgada weit weg von meinen Flug-fortgeschrittenen Mitreisenden sitzen muss. Die Dame neben mir mit Indianer-Ohrringen und bunten Strähnen im grauen Haar strahlt keine natürliche Hilfsbereitschaft aus. Ihre Hand kann ich bei der turbulenten Landung auf keinen Fall drücken und bin alleine auf mich und die Lehne des Flugzeugsessels gestellt. Zusammenfassend kann ich sagen: fliegen ist nicht gefährlich, aber lästig und langweilig. 

Endlich gelandet, jetzt ist Urlaub. Witzigerweise steigt man in Ponta Delgada aus dem Flugzeug aus und läuft über Zebrastreifen selber zum Terminal. Die Koffer sind in Nullkommanix da und somit sind alle Menschen und alle Koffer an Bord. So war das bestellt, bei uns läuft es einfach. Leider wurde die Mietwagen-Übergabe in der Bestellung an das Universum nicht berücksichtigt - es konnte keiner ahnen, dass es pro Urlauber(paar) gefühlt 20 Minuten dauert, bis ein (vorgebuchter) Mietwagen ausgehändigt werden kann. Das zerschießt jetzt also unseren kompletten Zeitplan und auch den von unserer Vermieterin Brigitte, die uns den Weg zum Haus zeigen will und ständig fragt, wo wir bleiben und wann wir kommen. Endlich bekommen wir unseren Opel Cross-irgendwas, wir fahren noch schnell am Supermarkt vorbei und dann brauchen wir Brigitte. Das Treffen an sich ist wie aus einem schlechten Mafia-Film: 100m nach dem Ortseingang von Varzea sollen wir auf einer Parkbucht halten und Brigitte kommt "dann runter". Wir stehen also da, in mittlerweile stockdunkler Nacht, als ein Auto vor uns umwendet und sich in Fahrtrichtung hinstellt. Kurze Irritation – was tun? Und dann fahren wir neben den Wagen und lassen das Beifahrerfenster runter. Wer sitzt am Steuer - ein fremder Mann? Gefährliche Typen? Machen die uns Angst oder wir denen? Und dann, eine Frauenstimme, die sagt: „Seid ihr meine Gäste?“ 

Wir fahren Brigitte hinterher Richtung Mosteiros, die legt einen ganz schönen Zahn vor. Die Straße zu unserem Häuschen ist die "alte Inselstraße", was eine hübsche Beschreibung für eine engen, löchrigen Feldweg ist. Gut, dass wir im Dunkeln gar nicht gesehen haben, wo wir lang fahren. Unsere Hofeinfahrt ist steil und kurvig, aber immerhin: nicht jeder hat eigene Serpentinen am Hof. Das Haus hat hell erleuchtete Fenster, was für ein schöner Empfang. Wir fühlen uns hier gleich wohl und trinken noch einen Willkommens- und wir-lassen-den-Stress-hinter-uns-Rotwein. Und dann. Gehen wir schlafen. 

Dienstag 
Nach unserem langen Anreisetag gestern lassen wir es heut ruhig angehen. Im Schlafanzug raus, der erste Blick aufs Meer ist einfach immer das tollste. Von unserer Terrasse haben wir Meerblick in alle Richtungen und es ist einfach der Wahnsinn. Wir sehen das Meer vom Esstisch aus und vom Sofa aus und wenn ich mich in meinem Bett aufsetze, dann sehe ich das Meer auch. Was ist das für ein Luxusleben. Auf der Terrasse stehen wunderbare blaue Stühle zum Lesen (kann man sich in Stühle verlieben?), aber trotz higlightigem Lesestoff kann ich mich nicht auf mein Buch konzentrieren und muss immer wieder aufblicken und aufs Meer schauen. Mal Wolken, dann Sonne, Licht und Schatten - es ist immer anders und es ist immer besonders. 

Nachmittags fahren wir nach Mosteiros in Richtung Piscines Naturales, wo wir entlang spazieren. Viele Leute baden tatsächlich, uns interessieren mehr die Burger und Drinks an der hübschen Strandbar. Schnell kommen wir mit den Bambergern neben uns ins Gespräch - in der Fremde hören sich Franken einfach. Am Strand von Mosteiros sehen wir weiße Haut und bunte Farben auf schwarzem Sand, ein schönes Bild. 

Am Farol de Ferraria sitzen der Wachhund und die Katze auf dem Dach. Ansonsten ist er Leuchturm zu verkaufen, ein spannender Gedanke. 

Zu den Thermas da Ferraria geht es steile Höllenserpentinen hinunter. Hier fühlt man sich wie in Island mit dem ganzen Lava-Gestein. Die Ponte ist ein gigantischer Steinbogen über leuchtend türkisem Wasser. Obwohl hier angeblich ein guter whale watching-Spot ist, sehen wir leider keinen. Schade. 

Mittwoch 
Frühstück mit Meerblick, was für ein Luxus. Danach geht es im Zuge unserer Sammlung der Aussichtspunkte zum Miradouro da Lomba do Vasco. Hier zeigt ein Wegweiser zu einem vermeintlichen Aussichtspunkt, laut Google Maps 13 Minuten. Wie sich rausstellt, hat Google gelogen - der Weg ist ein endloser kurviger Pfad und auch hinter sämtlichen Biegungen ist nie der gewünschte Ausblick. Irgendwann erkennen wir, wo der Weg hinführt: zum Miradouro da Vista do Rei mit dem Lost Place-Hotel daneben. Dann nehmen wir halt das. Zur Belohnung gibt es einen Burger beim Foodtruck am Hotelparkplatz. Die Azoren wissen genau, was wir brauchen: während wir ein Kaltgetränk visualisieren, stellen die einfach einen Foodtruck auf. Es ist wohl doch was dran an der These, dass man groß träumen soll. 

Donnerstag 
Unser Leben hat sich nach wenigen Tagen schon eingespielt: entspanntes Frühstück, Ausflugsbeginn am späten Vormittag, Essen unterwegs und noch Lebensmittel shoppen gegen Abend. Obwohl wir uns sportlich nicht ganz so verausgaben, sind wir abends ganz schön platt. Wir schieben es auf die vielen Eindrücken, die viele frische Luft (das sind Büro-Popos nicht gewohnt) und überhaupt. 

Heute erkunden wir den Nordwesten der Insel in Richtung Ribeira Grande. Unterwegs halten wir natürlich an sämtlichen Miradoures, Mühlen und was sonst noch auf der Möchte-ich-hin-Liste oder im Reiseführer steht. Manches davon ist auch eher ein Reinfall, z.B. wenn man kreative Kunsthandwerker-Lädchen erwartet und stattdessen in ein staubiges Gruselkabinett-Museum voller alter Sachen kommt. 

In Ribeira Grande brauchen wir erst mal was zu essen. Wir speisen leckeren Fisch, der aber kompliziert zu essen ist. Mit der Krebs-Schere versage ich und verteile das Fleisch großzügig über T-Shirt und Handy. Immerhin uneigennützig über meine eigenen Sachen. Nach dem Absacker-Espresso laufen wir noch durch den Ort und dann zum Auto. Die Rückfahrt führt über die Schnellstraße durch Ponta Delgada, die aber auch nicht wirklich schneller ist. Und dann: ist es unhöflich, schon um 21h ins Bett zu gehen? 

Freitag 
Heute fahren wir in Richtung Inselosten zur beeindruckenden Kirche Ermida de Nossa Senhora da Paz und danach finden wir ein traumhaftes Fischrestaurant am Wasser mit sehr netter Bedienung ("Bitteschön. Dankeschön" – man spricht deutsch) und leckerer Fisch-Empfehlung. Am Ende der Mole mitten im Wasser ist ein Mini-Schwimmbecken. Wir amüsieren uns über den Baywatch-Bademeister, der gerade aus der Tupperschüssel vespert und dann fahren wir Richtung Heimat. 

Abends gibt es Chips mit Geschmacksrichtung "Ketchup". Ich dachte ja, das ist Paprika. Aber es ist wohl tatsächlich Ketchup und schmeckt strange. Dazu gibt es ein portugiesisches Radler, das echt "Radler" heißt...

Samstag 
Heute machen wir weiter Strecke und fahren ans andere Ende der Insel in Richtung Nordeste. Erst nach Ponta Delgada und dann über die Schnellstraße weiter rüber. Unser Weg führt uns direkt an den Teeplantagen vorbei und an der zweiten halten wir an. Was ist das für ein besonderer Ort, man fühlt die positive Energie. Und wie es hier riecht, unbeschreiblich. Nach Tee, Natur, fernen Paradiesen und alten Zeiten. Ich hatte zwar keine Vorstellung, wie Tee aussieht, aber ich hätte nie an kleine Hecken in terrassenförmigen Anlagen gedacht. Wir laufen durch die Teefelder und ich bin begeistert - das hier ist echt einmalig. Es ist eine besondere Stimmung, jeder ist irgendwie ergriffen und es wirkt, als ob dieser Tee die Menschen ruhig und friedlich macht. So was bräuchte doch die Welt. Auf dieser Teeplantage zu arbeiten und zwischendurch immer mal wieder in die Ferne und aufs Meer schauen, das wäre was. 

Nachdem wir Tee geshoppt haben, fahren wir weiter in Richtung Nordeste. Hier auf der Insel ist das keine Himmelsrichtung, sondern ein Ortsname. An den Miradoures halten wir an und schauen von oben auf den Farol do Arnel. Nur das Foto mit dem Weg macht den Leuchtturm aus und direkt hin will eh keiner: 25% Steigung sagt der Reiseführer. Ist weder gut für unsere Touristen-Knie noch für Opel-Gangschaltungen. 

Danach schlendern wir noch durch den Ort Nordeste und warten mit auf das Hochzeitspaar, für das alle Gäste schon vor der Kirche bereit stehen. Kleidungs-technisch eher fragwürdig, sogar von weitem krieg ich bei den Polyester-Abendkleidern Zustände. Da kann man nur hoffen, dass es eine Nichtraucher-Hochzeit ist, ansonsten sind die Damen wohl leicht entflammbar. 

Der schnelle Heimweg schlägt mir ganz schön auf den Magen - Serpentinen, Kurven und schnell sollte sich irgendwie ausschließen. In unserem Häuschen muss ich erst mal kurz ruhen, bis mein Urlaubskörper wieder aufnahmefähig ist für einen Kochwein und Nudeln mit Tomatensauce. Ein italienischer Abend in Portugal. Nudeln mit Meerblick, so mag ich das Leben. 

Sonntag 
Heute steht die Besichtigung von Ponta Delgada auf dem Programm. Hier sind viele Straßen gesperrt, es ist irgendein Event. Es hat etwas mit dem Heiligen Geist zu tun hat und es gibt einen festlichen Umzug mit vielen Menschen in Abendkleidern und in Blaskapellen. Anscheinend hat jeder Ort der Insel hier Blumenschmuck oder irgendwelche Gaben mitgebracht. Danach gibt es schlechte Pizza weil ich so hungrig bin, dass ich nicht mehr sprechen kann. Danach beginnt die Suche nach dem Charme von Ponta Delgada - leider erfolglos. 

Montag 
Heute mache ich endlich mal meine Runde Morgenyoga, auf der Terrasse oberhalb des Meeres mit dem Wind auf der Haut. Für eine Morgen-Meditation ist dann aber keine Zeit mehr, weil die Rühreier fertig sind. Da muss ich jetzt natürlich Prioritäten setzen. 

Auf dem heutigen Plan stehen warme Quellen in Furnas und ein botanischer Garten. Gleich auf der Hinreise wird umdisponiert, weil auf Google Maps die aus Instagram bekannte Platanenallee gefunden wurde. Der Weg ist auf beiden Seiten vom Hortensien und Hortensienhecken gesäumt, ist ewig lang und einfach nur traumhaft. Es dauert Stunden, bis das "richtige" Foto im Kasten ist. 

Danach weiter nach Furnas und in den Terra Nostra Park. Dieser botanische Garten ist eine Oase, ein Platz guter Energie und so liebevoll und besonders gestaltet. Viele Menschen baden im Schlamm-See, scheint gesund zu sein. Gucken reicht aber auch. 

Nach einer Stunde Heimfahrt denke ich nur noch ans Bett und schlafen. Aber dann, erst mal auf der Terrasse, geht es wieder bergauf. Es ist einfach so, der Sangria muss weg. Die geschmacklosen Chips müssen weg und die Nudeln müssen auch weg. Es ist ein gutes Gefühl, Lebensmittel-Retter zu sein. 

Mittwoch 
Heute ist der letzte Urlaubstag, was totalen Stress bedeutet. Den Druck, alles noch zu sehen, was bisher nicht geschafft wurde und alles noch zu erledigen, was noch als offen auf der Möchte-ich-hin-Liste steht. Und dann? Dann passiert erst mal gar nichts. Endlich mal auf der Terrasse sitzen und lesen. Heute ist die Entschleunigung in mir angekommen, die ich in 10 Tagen Azoren gesucht habe. Einfach oberhalb des Meeres sitzen, in die Ferne zu blicken und zu sein. Ich spüre die Entspannung von Kopf bis Fuß. Und in diesem Moment vom warmen Wind umgarnt zu werden, er zieht mal hier und kommt mal von da, was für ein tolles Gefühl. 

Später gibt es doch noch einige Reifen-Umdrehungen hin: ein Highlight-Miradouro steht noch auf der Must-see-Liste und so geht es die Serpentinen hoch nach Sete Cidades. Es ist ganz schön stürmisch und windig, aber man muss den Urlaubsort ja bei jedem Wetter sehen und dies ist jetzt anscheinend die Lieferung dieses Wunsches. Leider ändert das meine schon geplante Statistik "Tagen in Regenjacke = 0" in "nicht ohne meine Regenjacke". 

Im Sturm und im kalten Nieselregen geht es zum machen wir uns auf zum Miradouro da Boca do Inferno. Alleine der Weg ist toll, zwar nass, aber sehr mystisch und neblig. Unterwegs kommt eine Dame entgegen, deren Mann im warmen Auto am Parkplatz sitzt. Sie meint "You will see nothing, but you can try it". Ok,let's try. 

Weiter hinten und oben ist links und rechts vom Weg ein schwammiges, nebliges, weißes Nichts. So stelle ich mir eigentlich den Weg zum Himmelstor vor, quer durch die Wolken und nicht wissen, wohin genau. Wir kommen nicht ganz in den Himmeln, sondern nur (?) zur Aussichtkanzel des Miradouros und sehen - nichts. Der Blick sollte auf die Seen von Sete Cidades gehen, eine traumhafte Landschaft.  Leider nicht heute. Aber der Weg hat sich auch so gelohnt, der Weg war hier halt das Ziel. Zufrieden mit vom Sprühregen nassen Haaren und vollgeregneter Kamera geht es auf den Rückweg. Immerhin keine Menschen-Schlangen vor dem instagramablen place to be, hat auch was für sich. 

Heute ist der letzte Abend, dieser will mit Blick aufs Meer würdig verbracht werden. Und dann kommt sogar teilweise die Sonne raus - das ist Glück, dasitzen und aufs Meer schauen. 

Donnerstag
Heute ist Abreisetag und dementsprechend geht es früh zur Sache. Wieder meine Flug-Aufregung. Der Start und Landung sind holprig und ich bin ein Nervenbündel. Die Angst, dass bei der Landung in Lissabon was schief geht, wird jedoch eindeutig überlagert von der Angst, dass die Bambergerin neben mir brechen muss. Meine reflexartige Reaktion auf diesen Fall ist nicht vorhersehbar. 

In Lissabon landet unsere Maschine zu spät, dann kommt der Bus zu spät und viele Menschen hasten weiter in Richtung Flieger nach München. Das ist mal just-in-time-Fliegen (als ob das ganze Gehopse nicht schon reichen würde). Spannend, ob die Koffer auch so flexibel sind und den Anschluss geschafft haben. Die Landung in München war gefühlt fürchterlich und da kann mich das Universum auch nicht mit einem Doppel-Regenbogen besänftigen. Durch ein Gewitter zu fliegen und zwei Reihen hinter mir zwei Herren über Flugunfälle parlieren zu hören, das braucht kein Mensch. Aber immerhin, runter kommt man immer. 

Reisen ist ganz schön anstrengend. Ich bin zwar gerne woanders, aber verreisen an sich gefällt mir nicht mehr. 
  
Und
der Koffer hatte verlängert und übernachtete nochmal in Lissabon. 
Naja, hat recht. Es muss ja nicht gleich wieder Alltag sein.