Anreise
Je näher die Reise rückt, desto unentspannter werde ich: die Bahnfahrt im Schlafwagen ist zwar günstig, aber was hab ich mir nur dabei gedacht, das Zugabteil mit fremden Menschen zu teilen. Meine Visualisierung, dass ich alleine im Abteil bin, haut nicht ganz hin. Wir sind zu sechst und es ist eng. Am Anfang bin ich angespannt, aber das legt sich mit der Zeit, als die Körperteile aller Mitreisenden gelungene Choreographien hinbekommen und der Platz im Abteil aufs bestmögliche ausgenutzt wird. Am nächsten Tag bin ich erstaunlich fit.
Am Bahnhof in Venedig erlebe ich wieder den magischen Moment vom letzten Mal: man verlässt das Bahnhofsgebäude und steht in einer anderen Welt. Ein bisschen Filmkulisse, ein bisschen Traumleben, ein bisschen Theaterbühne. Und wie beim letzten Mal fühle ich mich daheim in Venedig.
Der Wasserbus zum Lido fährt innen auf dem Canale Grande, das ist gleich eine erste Stadtrundfahrt. Angekommen am Lido gibt es einen Cappuccino und ein Hörnchen. Und das draußen in der Sonne, schwitzend. Das Wetter ist wärmer als gedacht, wie wunderbar. Nach einer meditativen Pause am Hotelpool (mit Füßen im Wasser, so ist das am Lido) wird erst mal die Gegend erkundet. Und danach gibt es Aperol mit Nudeln und Espresso, so wie sich das gehört in Italien. Sehr lecker.
Freitag
Eine gute Nacht gehabt zu haben ist nach einer Nachtzug-Anreise im 6er-Abteil eine echt luxuriöse Aussage. Nach dem leckeren Hotelfrühstück mit Blick aufs Wasser geht es mit dem Bus zum Schiff und mit dem Schiff zur Biennale. Die Haltestelle Arsenale ist nur 5 Minuten weg.
Unter Biennale hatte ich mir ganz was anderes vorgestellt. Erst mal gibt es einen Aufschnitt an Kunst und Künstlern in den ersten Hallen der Arsenale. Jedes Land hat einen eigenen Pavillon und zeigt seinen Beitrag. Ich sehe kreative Dinge, bemerkenswerte Kunst, viel Können und auch komische, verstörende und deprimierende Sachen. Ich finde, Kunst muss hübsch sein, aber doch nicht Probleme aufzeigen.
Nach der Kunst regnet es in Strömen. Erst mal also mit Wasserbus zum Lido auf einen Cappuccino in der Bar am Anleger. Und ein paar Dolci. Danach reift der geniale Gedanke, das schlechte Wetter beim Busfahren zum Sightseeing zu nutzen: ein Stück in die andere Richtung des Lido fahren und dann im nächsten Ort in einer Trattoria einkehren. Der Plan war gut, das Leben ist anders. Es stellt sich heraus, dass die orangen Busse die schnellen sind, die nicht überall anhalten. Laut der Anzeige auf dem Bus fährt dieser auf die Nebeninsel Pantelleria, und das macht der auch. In Windeseile ist der Bus am Ende des Lido und fährt mit uns auf die Fähre Haltestelle? Fehlanzeige. Aussteigen? Nicht möglich. Im Bus auf der Fähre? Mein letzter Wille. Nach der englischen Auskunft eines italienischen Teenagers vertraue ich darauf, dass der Bus einfach wieder zum Anleger fährt und zum Lido zurück-übersetzt. Die Insel Pantelleria ist ganz schön lang, die möglicherweise netten Ecken bleiben im Regen verborgen. In einsetzender Dunkelheit geht es den gleichen Weg wieder zurück und glücklicherweise schnurstracks auf die Fähre.
Endlich was warmes zu essen nach der ganzen Aufregung. Immerhin, eine hübsche Pizzeria mit nettem Personal und hausgemachter Tiramisu ist ein guter Abschluss eines ereignisreichen Tages.
Samstag
Heute ist Gartenwetter und auf dem Plan stehen die Giardini della Biennale. Erst geht es aber ins Teatro la Fenice, um die Karten für das Jazzkonzert am Abend zu kaufen. Ein sehr beeindruckendes Gebäude mit faszinierender Geschichte. Danach also in die Gärten. Jedes Land hat seinen eigenen Pavillon und beruft einen Künstler für die Biennale. Mich faszinieren mehr die Gebäude als die Kunst an sich. Und es ist tatsächlich so, dass die Bauart jedes Landes durchaus auf die Menschen schließen lässt. Nach so viel Kunst braucht es erst mal eine Pause in der Bar unter den hohen Bäumen mit Blick aufs Wasser beim Anleger St. Elena. In der Abendsonne das besondere Venedig-Licht genießen und aufs Wasser schauen, das ist ein Lebens-Glücksmoment für den Erinnerungsspeicher im Hirn.
Das Jazzkonzert ist im kleinen Saal des Fenice, aber trotzdem eine tolle Atmosphäre. Die Musik an sich finde ich ja ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber es ist der perfekte Samstagabend-Event. Bemerkenswerterweise ist das kleine Schwarze im Koffer im Hotel, weil ich seit morgens unterwegs bin. Und so bin ich blau-gestreift im Theater. Geht auch.
Danach gibt's noch einen Absacker in der kleinen Bar in einer Seitenstraße vom Markusplatz gegenüber dem Hotel Casanova. In Erinnerung bleibt das junge Liebespaar, das sich glücklich vor dem Hoteleingang wieder trifft. Sie sagt zu ihm „how funny, that I found you at the Casanova“. Warum bleibt mir dieser Satz in Erinnerung? Da wird mal ein Buch draus.
Sonntag
Heute ist kein Biennale-Programm, heute ist Freizeit. Auf dem Plan steht ein Besuch der Skulptur "building bridges" von Lorenzo Quinn. Erst mal ein Fußmarsch vom Anleger bis zur Arsenale, es geht durch das ursprüngliche Venedig. Ich lerne: am Sonntag ist Waschtag und die Italiener haben echt keine Scheu, ihre Unterhosen quer über den Platz zu spannen. Nördlich von der Arsenale ist der perfekte Blick auf die großen Hände von Lorenzo Quinn. Vor allem aus der Nähe ist dieses Kunstwerk wahrlich bewegend. Diese Arbeit hat mich mehr berührt als alles auf der Biennale. Das ist Kunst für mich: aufrütteln, bewegen, antreiben. Aber nicht deprimieren oder Angst machen wie vieles, was ich in den letzten Tagen gesehen habe.
So, und jetzt auf zum Lido, schließlich habe ich noch keinen Strand gesehen. Endlich gibt es mal ein Gelatti in Italien auf einer Bank beim Elisabeth-Anleger mit Blick auf den nahenden Sonnenuntergang. Danach mit dem Bus zur Badestelle, es ist toll. Endlos weit und flach, so stellt man es sich vor. Es ist toll, weil es leer ist. Aber ich würde diese privaten Bagni gerne auch mal im Sommer zur Hauptsaison sehen, voller Leben und Lachen.
Montag
Heut ist Rückreisetag. Mit der Linie 5.2 Richtung Bahnhof geht es durch durch den Giudecca-Kanal. Wieder eine wunderbare Stadtrundfahrt, eine Abschiedstour mit ganz neuen Seiten der Wasserstadt.
Arrividerci, Venedig. Bis bald....